Prof. Dr. Dr. h.c. Manfred Bruhn von der Uni Basel ruft dazu auf, Kundenorientierung nicht nur als Marketing-Massnahme zu begreifen, sondern die Unternehmensführung grundsätzlich darauf auszurichten. So könnten echte und erfolgreiche Innovationen geschaffen werden.
Das Ausgangslage ist nach Ansicht von Prof. Bruhn unstrittig: Produkte und Services sind austauschbar geworden. Das ist eine Todsünde im Marketing», sagt er. «Deshalb gibt nicht nur eine Marken-, sondern auch eine Margen-Erosion. Die Unternehmen müssen heraus aus der Commodity Falle.» Als Lösung präsentiert sich Differenzierung durch Service. Drei Viertel aller Erwerbstätigen in der Schweiz arbeiten schon in der Dienstleistungsbranche. «Wir sind eine Dienstleitungsgesellschaft», so der Professor. Mehr und besserer Service werde durch moderne Technologien heute ermöglicht. «Wichtig ist dabei, dass Digitalisierung nicht das Ziel, sondern nur das Mittel zum Zweck ist.»
Die Konzepte für entsprechende Kundenprogramme sollten inzwischen eigentlich in allen Unternehmen stehen. Herausforderung sei es aber, sie in die Praxis umzusetzen. Da gäbe es einige Stolpersteine. Ein klassischer Fehler wäre es zum Beispiel, die technische Interpretation zu überbewerten. «Es geht nicht nur darum, entsprechende Tools zu implementieren. Ausserdem darf man sich nicht mit blosser Touchpoint-Kosmetik begnügen.» Lippenbekenntnisse zu Kundenorientierung gäbe es schon genug. «‹Wir sind kundenorientiert› gehört meiner Erfahrung nach zu den häufigsten Lügen, gleich nach ‹ich liebe dich› und ‹ich rufe dich an›». Für wahre Kundenorientierung muss das Mind-Set im Unternehmen von oben nach unten angepasst werden. Die Stolpersteine erfüllen ihre Funktion zuverlässig: «Sechzig Prozent alle CRM-Projekte enttäuschen die in sie gesetzten Erwartungen — trotz zum Teil sehr hohen Investitionen», referiert Manfred Bruhn. Es reiche eben nicht, das alte Geschäftsmodell auf die neuen Medien zu transferieren. «So etwas ist oft purer Aktionismus, mit dem man bestenfalls eine marginale Transformation schafft. Eine Taxi-App, die lediglich die alte Funkzentrale ersetzt, wirkt wenig beeindruckend im Vergleich zu einer wahrhaft disruptiven Innovation wie sie Uber mit seinem grundsätzlich neuen Geschäftsmodell geschaffen hat. Disruptive Innovation sei für ihn ohnehin ein Anwärter auf das Wort des Jahres», sagt der Experte.
Die Phasen der Unternehmensführung
Das Thema Kundenorientierung wird nach Bruhn auf mehreren Ebenen diskutiert: Die Führungsebene kümmert sich dabei um Geschäftsmodelle, das Management um Kundenprogramme und das Front Office um die konkreten Kundeninteraktionen. Als strategischer Ansatz ist Kundenorientierung seit Anfang der neunziger Jahre ein Thema. Damals wurde belegt, dass es wirtschaftlich lukrativer ist, bestehende Kunden zu halten als beständig neue zu gewinnen. Entsprechend wurden Kundenbindungsprogramme ins Leben gerufen. Inzwischen vertieft sich die Kundenorientierung immer weiter. Seit der Jahrtausendwende spricht man von Beziehungsorientierung, seit zehn Jahren von Netzwerkorientierung und seit 2010 entwickelt sich langsam ein Trend zur Valueorientierung. Die Kundenorientierung identifiziert Treiber für die Kundenzufriedenheit, schafft Kundenbindung und – wenn auch die Treiber für Mehrverkäufe gefunden wurden — wirtschaftlichen Erfolg. Die hohe Kunst besteht darin, vor allem die Treiber jener Kundensegmente zu finden, die besonders lukrativ sind. «Die Beziehungsorientierung geht noch ein Schritt weiter», so Prof. Bruhn. «Hier ist der Kunde quasi ein Investitionsobjekt. Die Kundschaft wird segmentiert und je nach Bedürfnis und Kundenwert unterschiedlich behandelt.» Für unzufriedene Kunden mit hoher Wechselbereitschaft gibt es ein Rückgewinnungs-Management. Zufriedene, aber Abwechslung suchende Kunden werden durch Kundenbindungsmanagement gehalten. (Diese Gruppe macht im Telekommunikationsmarkt zum Beispiel 41 Prozent aus). «Zukünftig werden wir häufiger auf Netzwerk-Orientierung stossen», so Bruhn weiter. Dabei schliessen sich mehrere Anbieter zusammen und vernetzen sich mit dem Kunden. Die Customer Journey wird hier nicht mehr nur für ein Unternehmen erhoben, sondern über mehrere Firmen hinweg. «Eine echte Fleissaufgabe», sagt Manfred Bruhn. Ein Geschäftsreisender an einem Grossflughafen muss schliesslich erst einen Flug buchen, dann anreisen und gegebenenfalls ein Mietauto zurückbringen, bis er mit dem eigentlichen Personal des Flughafen in Kontakt tritt. All diese Instanzen prägen das Kundenerlebnis mit. Bei einem Value-orientierten Geschäftsmodell schliesslich bemisst der Kunde dem Service einen so hohen Wert zu, dass er bereit ist dafür zu bezahlen. «Es geht um eine interaktive, gemeinsame Wertschöpfung», erklärt der Experte. Statt nur für ein Produkt zahlt der Kunde für eine komplexe Dienstleistung, die exakt auf seine Bedürfnisse ausgerichtet ist. Mit dem Verkauf von Neuwagen erwirtschaftet Daimler gerade mal 20 % seines Profits. Financial Services, After Sales und Instandhaltung, der Gebrauchtwagenhandel, Car2Go und Flottenmanagement ergeben die übrigen 80 Prozent. «In Wirklichkeit verkauft Daimler nicht Autos, sondern Mobilität!» Servicezentrierte Geschäftsmodell funktionieren nicht nur im Grossen, sondern auch in der Start-up-Szene. MyMuesli oder Outfittery liessen sich für individualisierte Dienstleistungen bezahlen.
Innovationen statt Me-too
«Basis der Service-Transformation sind innovative Ideen», doziert Bruhn weiter und plädiert für einen viralen Ansatz. «Es reicht, klein anzufangen. Wir haben eine Reihe von Instrumenten, um Kundenbedürfnisse aufzudecken, Ideen zu generieren, Konzepte zu designen, Prototypen zu testen und die Services schliesslich zu implementieren.» Workshop mit Mitarbeitern, Kunden und Partner haben sich etabliert. «Das ist Handwerk», sagt der Professor und empfiehlt den Praktikern schlicht mehr Mut. Versuch und Irrtum seien bei der Entwicklung von neuen Services das Mittel der Wahl. «Es gibt eine Reihe von Impulsen auch in anderen Branchen – man muss sie nur wahrnehmen. Wer sich nur bei Mitbewerbern umsieht, schafft bestenfalls ein ‚Me-too’.»
Prof. Dr. Dr. h.c. Manfred Bruhn ist Ordinarius für Marketing und Unternehmensführung an der Universität Basel. Er studierte von 1970 bis 1974 Betriebswirtschaftslehre an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster (Westfalen), 1977 Promotion, 1985 Habilitation.
Von 1983 bis 1995 war Prof. Bruhn Inhaber des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Marketing und Handel an der EBS Universität für Wirtschaft und Recht, einer privaten wissenschaftlichen Hochschule in Oestrich-Winkel.
Seit 1995 ist Prof. Bruhn Ordinarius für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Marketing und Unternehmensführung am Wirtschaftswissenschaftlichen Zentrum (WWZ) der Universität Basel. Seit 2005 ist er zudem Honorarprofessor an der Technischen Universität München.
Prof. Bruhn hat zahlreiche Publikationen zu den Themen Strategische Unternehmensführung, Marketingmanagement, CRM, Konsumentenverhalten, Kommunikationspolitik, Dienstleistungsmarketing, Non-Profit-Marketing, Integrierte Kommunikation, Relationship Marketing und Markenpolitik veröffentlicht. Er ist Gutachter zahlreicher wissenschaftlicher Zeitschriften, z. B. der Zeitschrift für Management.
Kategorie: Customer Excellence
how true. Wieso ist dies so schwierig!!